Ich interessiere mich nicht für Aale. Ich bin weder Naturwissenschaftlerin noch Anglerin, und mein weniges Wissen über diesen schlangenartigen Fisch beruht lediglich auf Kindheitserinnerungen, in denen wir von Ausflügen zum Rhein geräucherten Aal mitbrachten. Meine Kenntnis was das lebendige Tier anbelangt geht also fast gegen Null, ein Umstand, der mich bislang nicht weiter gestört hat.
Das Evangelium der Aale von Patrik Svensson,
übersetzt von Hanna Ganz, Hanser Verlag
Nie in seiner Kindheit war Patrik Svensson seinem Vater so nah wie beim Aalfischen. Als Erwachsener stellt er fest: Der Erinnerung an seinen Vater kommt er nicht auf die Spur, ohne nach dem Fisch zu suchen, der sie miteinander verband – und über den wir bis heute erstaunlich wenig wissen. Poetisch und spannend entwirft Svensson eine Natur- und Kulturgeschichte der Aale, von Aristoteles und Sigmund Freud über Günter Grass bis zu Rachel Carson, und verbindet sie mit seiner persönlichen Geschichte. Auf verschlungenen Wegen wird das Rätsel des Aals zum Bild für das Leben selbst. Und Das Evangelium der Aale zu einer großen, umwerfenden Erzählung über ein sonderbares Tier und ein Leben auf der Suche.
Warum also ein Buch über Aale lesen? Am Ende war es vermutlich die Summe aus außergewöhnlichem Titel, einem schönen Cover und dem überflogenen Klappentext, die mich dann doch irgendwie neugierig machte. So erwartete ich eine Vater-Sohn-Beziehungsgeschichte, in der – wie auch immer – das Angeln und der Aal seinen Platz finden würden. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich tat mich schwer mit den ersten 40 Seiten. Das lag einerseits sicherlich an meiner falschen Erwartungshaltung, denn beim Überfliegen des Klappentextes war mir entgangen, dass es sich bei „Das Evangelium der Aale“ nicht um Fiktion, sondern um Erinnerungen des Autors an den Vater handelt. Mea culpa. Andererseits lasen sich die ersten Seiten durchaus holprig, was gewiss auch an der Übersetzung liegen kann. Dies entzieht sich jedoch meiner Kenntnis.
Nichts desto trotz geriet ich in die Fänge dieser außergewöhnlichen Geschichte, die Sachbuch und Biografie zugleich ist. Wobei mich ersteres zu meiner großen Überraschung besonders faszinierte und mich das Buch fast in einem Rutsch durchlesen ließ.
Am Ende habe ich unglaublich viel über Aale und die, die sie erforschten, gelernt. Ich weiß, dass die „Aalfrage“, die sich Aristoteles bereits stellte, auch 2.000 Jahre später immer noch nicht gelöst ist, denn bis heute hat niemand Aale beim Laichen beobachten können. Mit großer Sachkenntnis, dennoch verständlich und kurzweilig berichtet der Autor über die unterschiedlichsten Forscher, Laien und Autorinnen, die sich von der Antike bis heute dem Aal widmeten und doch alle an dem letzten großen Rätsel scheiterten.
Und so möchte ich allen dieses außergewöhnliche Buch empfehlen, das erst durch Svenssons persönliche Erinnerungen an den Vater, an das gemeinsame Angeln und an den in Südschweden allgegenwärtigen Aal zu einem großen Ganzen wird. Zum Schluss ziehe auch ich Vergleiche zwischen Aal und Mensch, philosophischer und religiöser Art, und finde den Titel nicht mehr nur außergewöhnlich, sondern auch sehr passend.
Das Evangelium der Aale von Patrick Svensson, übersetzt von Hanna Ganz,
Hanser Verlag 2020 – 256 Seiten, 22 €
Dieser Text von Stefanie Leo erschien zunächst auf ihrem Blog lesenlebenlachen.de.