Am 7. Mai 2020 erschien unser 43. Buchtipp im Solinger Tageblatt:
Schräges Buch, großartige Handlung:
Das eiserne Herz des Charlie Berg
Dieses Buch ist schräg, sehr schräg. Ich bin begeistert und ratlos zugleich: Wie kann man diesem komplexen, großartigen Roman in ein paar Zeilen gerecht werden? Also: Im Mittelpunkt steht Charlie Berg. Charlie hat den Geruchssinn eines Hundes und ein schwaches Herz. Er will ausziehen und endlich nicht mehr der Depp sein, der alles zusammenhält, während die Mutter am Theater die Welt verstört und der Vater bekifft im Aufnahmestudio sitzt. Es sind die frühen 90er Jahre und die Zivi-Stelle im Leuchtturm ist zum Greifen nah – da läuft alles aus dem Ruder: Auf der Jagd mit Opa trifft ein Schuss nicht nur den Hirsch, sondern auch Opa.
Es gibt aber auch noch andere wichtige Figuren in diesem Buch: Seine inselbegabte Schwester, die ausschließlich in Zitaten spricht, seinen besten Freund, ein sexsüchtiger Romantiker mit übernatürlichen Erscheinungen. Und da ist Mayra, die Video-Brieffreundin, die Vertraute aus Kindertagen, die große Liebe aus Mexiko. Weitere, wesentliche Themen sind: Literatur, Sex, Düfte, Feminismus, Gewalt, Jazz, Punk und Hirschgulasch.
Das Buch ist eindringlich, witzig, lockerleicht und bisweilen regelrecht verstörend. Die Figuren sind vielschichtig, heldenhaft, aber auch völlig bescheuert. Der Autor nimmt sich für sie ebenso viel Zeit, wie für haarkleine Beschreibungen von Gefühlen, Gerüchen, Szenerien, Büchern und Musik. Den Leser entführt er auf eine rasant erzählte tour de force über stolze 720 Seiten.
Sebastian Stuertz, Das eiserne Herz des Charlie Berg
btb Verlag 2020, 720 Seiten, 22 €