Josephine Tey, Nur der Mond war Zeuge
Dies ist ein klassischer Krimi in allerbester britischer Tradition. Die exzellenten Dialoge (Warum können die Briten eigentlich immer so gute Dialoge schreiben? Ist das erblich? Liegt das am Wetter?), die sehr präzisen Figurenzeichnungen bis in kleinste Nebenrollen hinein, die liebevollen Beschreibungen von Räumen, Gegenständen, Kleidung, Schrullen und Gefühlen, machen die Lektüre zum Genuss. Aber der Krimi ist nicht harmlos nett, denn die Themen sind Niedertracht, Vorurteile, Dummheit und eine skrupellose Presse.
1947
Uns kommt das alles sehr bekannt vor, dabei spielt der Roman 1947 in einer Kleinstadt, 30 km von London entfernt. Erschienen ist das Buch erstmals 1948. Der Anwalt Robert Blair bekommt einen Anruf. Marion Sharpe und ihre alte Mutter bitten ihn um Hilfe. Sie werden beschuldigt, ein 15jähriges Schulmädchen entführt, geschlagen und wochenlang festgehalten zu haben, bis dem Mädchen die Flucht gelang. Es kann die beiden Frauen und das abgelegene Anwesen in allen Details beschreiben.
Wer lügt?
Die beiden Frauen behaupten, das Mädchen noch nie gesehen zu haben. Blair, der sich wohlfühlt in seinem ruhigen, geregelten Leben, verbeißt sich in diesen Fall. Er will nicht nur einen Freispruch vor Gericht, sondern eine vollständige Rehabilitation der Beschuldigten. Aber wer lügt?
Josephine Tey, Nur der Mond war Zeuge (The Franchise Affair), aus dem Englischen von Manfred Allié, Kampa Verlag 2021, 432 Seiten, 18,80 €
76. Schatzinsel-Buchtipp im Solinger Tageblatt , erschienen am 06. Juli 2023 – geschrieben mit tatkräftiger Unterstützung von Caro, die als Antwort auf die Frage nach der Dialog-Begabung unbedingt noch die britische Pub-Kultur ins Spiel bringen wollte. Dafür war aber leider, leider kein Platz mehr, deshalb sei es hier erwähnt.