Nicola Lagioia, Die Stadt der Lebenden
Mord
Im Frühjahr 2016 töteten zwei junge Männer in Rom den 23jährigen Luca Varani. Die Täter aus sogenanntem guten Haus waren voll mit Drogen und Alkohol. Sie kannten Luca kaum, lockten ihn in eine Wohnung und quälten ihn. Ein Motiv ist nicht zu erkennen. Der Fall erschütterte ganz Italien.
Mischung von Textformen
Nicola Lagioia hat die Ermittlungen und die anschließenden Prozesse von Anfang an verfolgt, unzählige Interviews und Gespräche geführt. Daraus ist ein auch formal sehr ungewöhnliches Buch entstanden: Eine Mischung von Textformen: Teilweise eine Erzählung, dann eine Reportage, dann eine Collage von Stimmen: Lucas Freundin, Bekannte und Freunde der Täter und des Opfers. Zitate aus Ermittlungsakten, Facebook-Kommentare und Chat-Nachrichten. So entstehen immer wieder andere Bilder.
Das Böse
Das Buch streift psychologische und philosophische Fragen. Es ist eine Reflexion über das Böse, über die Figur des Monsters, denn das Monster ist immer nur der Andere.
Rom
Es ist auch ein Buch über die Stadt Rom, die ewige Stadt, die dysfunktionale Stadt, die zynische Stadt. Ein Buch über Familie, Verletzungen, innere Leere, soziale Ungleichheit, sexuelle Wirrnis, Macht, Schuld und Verantwortung. Lagioia erliegt zudem nie der Gefahr, bei der Suche nach den Motiven der Täter das Opfer aus den Augen zu verlieren. Ein bedrückendes, gutes Buch.
Nicola Lagioia, Die Stadt der Lebenden, BTB Verlag 2023, aus dem Italienischen von Verena von Koskull, 512 Seiten, 25,- €
77. Schatzinsel-Buchtipp im Solinger Tageblatt , erschienen am 10. August 2023 – mit Caros wohlwollender Unterstützung geschrieben.